Linda Weiß (k)
Einladen zum Stören
Diplom Gestaltung
Prof. Susanne M. Winterling
10 May 2019
‘Linda Weiß’ installation invitation to interrupt (summer edition) spreads rhizome-like in the exhibition area. In various modules that are linked with each other, both physically and iconographically, Weiß creates a self-sufficient system that appears to be a habitat of its own.* Cables and electronic devices combined with snail-like ceramic structures and organic elements visualize a sort of digestive system …’ (Sonja-Maria Borstner)
The system beckons the participants to practice cultivated nesting in oatischen segments. The consequences of taking part ought to be discussed, since an energetic connection promotes emphatic exclusion. Is digital detoxification being recommended by health insurance funds?
* Ambience observers are invited to engage at the entrances and exits—charging cables.
Mixed media.
Installation view: Zollamt, Offenbach; Basis e. V. Projektraum, Frankfurt am Main
Photos: Linda Weiß
Mit wem stecken Hexen unter einer Decke?
Diplom Theory
Prof. Dr. Marc Ries
Mit wem stecken Hexen unter einer Decke? lädt ein zur Umkreisung und Durchschreitung der Praktiken des Hexengefüges und bohrt: Wer produziert und konstruiert Hexe? Inspiriert von Donna Haraways Unruhig bleiben durchläuft die Untersuchungen hierfür offensichtliche Spielplätze und entlegenere Winkel des Hexeseins. Das Studium der »Praxis des Denkens, das die Bezeichnung Denken-mit verdient: das Geschichtenerzählen«[1], will ausprobiert werden. Denn »(e)s ist von Gewicht, welche Gedanken Gedanken denken; es ist von Gewicht, welche Erzählungen Erzählungen erzählen.«[2] Isabelle Stengers[3] erweitert dieses Fadenspiel, indem sie vorschlägt das zu Kategorien neigende Denken in »eine Praxis und einen Prozess, ein Werden-mit-anderen in überraschender Aufeinanderfolge«[4] zu transformieren. Wir folgen den Hexen durch ihre Elementarteile.
Ausgangspunkt ist die Frage, wo im eigenen Alltag Hexenmaterial fließt. Die westliche Populärkultur führt uns zum Konsum von TV-Serien. Ein Leben mit dem Bewegtbildmaterial gibt, anhand der TV-Serien The Vampire Diaries[5] und Outlander[6], Einblicke in Mystery- und Teeniewelten, sowie Historiendramen mit Fantasyanteilen. Mit der Betrachtung von Sprach- und Körperfragmenten, Teil der medialen Werkzeugpalette, werden die Konstruktionen von Hexe versucht zu entwirren.
Auf der Weiterreise stolpern wir zwischen der Grundhaltung unseres Milieus zur historisch geronnenen Hexe und dem Material der Filmindustrie, über die heutigen Hexen, die in Stengers Texten zu ihren Mitdenker_innen werden. Reclaiming nennt sich der Zirkel aus Anhänger_innen des magischen, feministischen und aktivistischen Schmelztiegels zu welchen unter anderem Starhawk gehört, die Hauptwerke des Reclaimings publiziert[7] und hierdurch die Praktiken des Umgangs und Lebens durch die (Geschichte der) Hexen verwirklicht.
Diese real und fiktional fantastische Magie ist nicht alleiniger Anteil des Begriffs Hexe. Es darf eine von Gewalt geprägte Geschichte nicht ausgeblendet werden. »Sobald wir die Hexenverfolgungen ihres metaphysischen Putzes entkleiden, erkennen wir in ihnen Erscheinungen, die sehr dicht an unserer eigenen Lebensrealität liegen.«[8] Silvia Federici[9] wirft uns mit ihren letzten Worten in Caliban und die Hexe, welche sich auf die Interpretation Arthur Millers über die Hexenprozesse in Salem beziehen, aus der Neuzeit/ Mittelalter heraus auf uns selbst zurück. In der europäischen Geschichte ist der Massenmord an Frauen, welche man der Hexerei bezichtigt, ein unübersehbarer Gewaltakt, welcher jedoch im Bildungssystem, eine Marginalisierung erfährt. Das Ausklammern der Hexenverfolgungen in den Geschichtsbüchern trivialisiert die mehrere Jahrhunderte anhaltende Vernichtung und wirft die Frage der Mittäterschaft auf westliche Geschichtsschreibung, durch ihre Ignoranz gegenüber dem Verbrechen.[10] Mit Federicis Blick in das Zeitalter der Hexenverbrennung eröffnet sich eine feministische Perspektive auf die Geschichtsschreibung jener Jahrhunderte. Am Beispiel der Allmende, die sich mit dem heutigen Begriff der Commons verschwestern, und deren Abschaffung kann der gesellschaftliche Wandel – von den Möglichkeiten der weiblichen Selbständigkeit hin zur Unterdrückung der Frau – diskutiert werden. Es verdichtet sich »[…] die Erinnerung an eine moderne Auslöschung […], die nicht nur die Hexen vernichtete, sondern auch die bäuerlichen Gemeinschaften zerstörte.«23
Wohin genau schleudert uns das Gemisch aus Sampling und Fiktionalisierung der historischen Faktizität, wie in Hexenserien? Kann Affizierung durch TV-Serien die Chance auf Trauer um die Verlorenen und das Verlorene bergen und zur selbstständigen Wissensbildung anregen? Oder ist das Serienmaterial letztlich nichts anderes als der Eskapismus unserer feierabendlichen Erschöpfung? Was bedeutet es, wenn Menschenrechte nach Geschlecht, Ethnie und Herkunft verhandelt werden? Auf der Suche nach Antworten eröffnen sich potentielle Umgangsformen für ein mit und durch die Komplexitäten. Und doch bleiben wir einander schuldig, was es heißt an die Vergangenheit zu erinnern. Wo fangen wir an? »Wording is worlding, and what we need to do is ›word the world better‹ (Foley, 2017).«[11]
[1] Donna Jeanne Haraway, Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, Frankfurt, New York 2018, S. 58. In Folgenden im Text zitiert als UB.
[2] UB 58.
[3] »Isabelle Stengers, eine Chemikerin, Kennerin von Whitehead und Gilles Deleuze, eine radikale Denkerin über Materialität in den Wissenschaften und eine widerspenstige, feminstische Philosophin … Mit Isabelle Stengers können wir nicht länger die Welt, wie sie ist, im Namen einer idealen Welt zurückweisen.« UB 23
[4] UB 11.
[5] The Vampire Diaries, TV-Serie, Julie Plec und Kevin Williamson (Drehbuch), US 2009-2017. Trailer »The Vampire Diaries Official Trailer 2009« (27.04.2013) verfügbar unter: https://youtu.be/Aw5nkIN4pAU (25.02.2019).
[6] Outlander, TV-Serie, Ronald D. Moore (Drehbuch), US seit 2014. Trailer »Outlander | New Series STARZ« (07.06.2014) verfügbar unter: https://youtu.be/hkizwJUiVjA (25.02.2019).
[7] »Starhawk co-founded the movement ›Reclaiming‹ which has spent decades trying to bring together the spiritual and the political. She sees spirituality and ritual not as something removed from the world, but deeply embedded in it …« zadforever, »Starhawk and Isabelle Stengers on the zad« (07.08.2017): https://zadforever.blog/2017/08/07/starhawk-and-isabelle-stengers-on-the-zad/ (24.02.2019).
[8] Silvia Federici, Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien 2015, S. 293. In Folgenden im Text zitiert als C.
[9] »The well-known Italian feminist Silvia Federici argues here for the importance of a gendered and feminist perspective on ideas and practices of the commons. For her, this implies centering the idea of the commons on the concept of ›reproduction‹. This classical Marxist term […] involves all of the things that go towards creating the conditions for living, foregrounding the centrality of care.« Noura Wedell, »Silvia Federici: Women, Reproduction, and the Construction of Commons«, Ankündigungstext zum Vortrag im MAD, NY (16.04.2019), https://www.artandeducation.net/classroom/video/66075/silvia-federici-women-reproduction-and-the-construction-of-commons (25.02.2019).
[10] Vgl. C 205.
[11] Jessica Foley, zitiert nach Helen Palmer und Vicky Hunter, »Worlding«, COST Action IS1307 (16.03.2018), http://newmaterialism.eu/almanac/w/worlding.html (03.10.18).
Aufbruch der Gestelle
Diplomnebenfach
cv
2009 bis 2012
Soziologie Goethe Universität, Frankfurt
2012 bis 2019
Bildhauerei, HfG Offenbach
2015 bis 2018
Tutor Prof. Susanne M. Winterling, Bildhauerei
2017 bis 2018
Tutor Prof. Marc Ries, Soziologie und Theorie der Medien
STIPENDIEN
2018 Global Youth Culture Forum/UCLG (Jeju, South Korea)
2017 Künstlerstadt Kalbe
2015 Johannes-Mosbach-Stiftung
AUSGEWÄHLTE GRUPPENAUSSTELLUNGEN
2019 Global Youth Culture Forum/ UCLG, Jeju (South Korea)
Blockadia*Tiefsee«, KIT Gallery, NTNU, Trondheim (No)
»have you ever seen a demon?«, Basis e. V. Projektraum, Frankfurt am Main
2018 »body / tech« Museum für angewandte Kunst, Frankfurt a. M.
»Blockadia*Tiefsee« Rathaus Offenbach a. M.
2017 »Eine Spur der kurzen Unterbrechung« Klapperfeld, Frankfurt a. M.
»Blockadia*Tiefsee 4« (Pop-up Ausstellung) Generali Foundation am Museum der Moderne, Salzburg (AT)
»Composing*Kompost« Kappus Seifenfabrik, Offenbach a. M.
»Wenn & Aber« artspace Tiefsee, Offenbach a. M.
»Blockadia*Tiefsee« Kunstverein Freiburg, Freiburg
2016 »Blockadia*Tiefsee« CLB, Berlin
»2x auf 1x« Klingspor Museum, Offenbach a. M.